Bei der Dorfgründung und Bauern-Ansiedlung durch den Deutschen Orden wurden die Feldfluren für die Dreifelderwirtschaft angelegt, die damals die beste Form der Landbewirtschaftung darstellte: Ein Feld Wintergetreide, ein Feld Sommergetreide, ein Feld Brachland. Dazu kamen die Gemeindeweide und der Gemeindewald oder Holznutzungsrechte in einem entfernteren Forst. Bei erheblichen Bodenunterschieden innerhalb der Gemarkung teilte man auch zwei oder mehr Dreifelderfolgen ein. In jedem Feld hatte jeder Bauer seinen Anteil. Seine Einzelstücke lagen innerhalb dieser großen Felder und besaßen keinen öffentlichen oder privaten Zugangsweg. Wegen der deshalb notwendigen Überfahrtrechte mußten die Feldarbeiten im Gleichklang erfolgen und das gleiche angebaut werden. Allmählich wurde das Brachland im Sommer provisorisch eingezäunt und als Zusatzweide genutzt. Auch dafür war es notwendig, dass die einzelnen Brachlandstücke der Bauern zusammenlagen. Es herrschte also Flurzwang. Diese Agrarordnung bestand etwa vom Jahr 1300 n. Chr. ab über 500 Jahre hinweg. Ihr Nachteil bestand darin, dass der einzelne Bauer keine Eigeninitiative entwickeln und keine andersartige Bewirtschaftung seines Landes durchführen konnte. Die Möglichkeiten dazu boten inzwischen die Einführung des Klee-, Luzerne-, Kartoffel- und Rüben- Anbaues. Dazu kam die Verflechtung der unfreien Bauern mit dem zuständigen Gutsbetrieb über die Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten.
Nach dem verlorenen Krieg mit Frankreich 1806/07 erkannte man in PreuBen die Notwendigkeit, durch eine Agrarreform den Weg für die Einzelinitiative der Bauern freizumachen, um die Wirtschaftskraft des Landes, die ja damals überwiegend von der Landwirtschaft abhing, zu stärken.
So erfolgte am 9. 10. 1807 von Memel aus das Edikt „Über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie über die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner.“ Die Ausführungsbestimmungen erarbeitete Albrecht Thaer bis 1811.
Sie sahen vor, dass der untertänige Bauer für die Ablösung seiner Pflichten ein Drittel seines Landes dem Gutsherrn abgab und dafür freier Eigentümer auf den restlichen zwei Dritteln wurde. Der Gutsherr musste sich künftig seine Gespanne und Lohnarbeiter selbst halten und brauchte auch nicht mehr dem Bauern beim Bauen oder in Steuerfragen zu helfen.
War der Bauer nicht Eigentümer, sondern nur Pächter gewesen, so musste er die Hälfte seines Landes abgeben, um auf der anderen Hälfte freier Eigentümer zu werden. Die Landabgabe war auch durch eine verzinsliche und laufend zu tilgende Geldrente zu ersetzen, wobei, je nach dem Zinssatz, der Bauer nach ca. 41 oder 56 Jahren seine Schuld getilgt hatte.
Die zweite Aufgabe der Agrarreform bestand darin, die Gemengelage und den Gemeinbesitz zu beseitigen. Dies betraf in erster Linie die freien Bauern. Jeder Beteiligte konnte das Verfahren beantragen. Der ausgearbeitete Plan wurde den Betroffenen zur Stellungnahme vorgelegt ähnlich wie heute bei Umlegungen. Die Beteiligten trugen die Kosten, der Staat stellte die Beamten und gewährte Stempel- und Gebührenfreiheit bei allen Umschreibungen.
Bei der Gemeinheitsteilung handelte es sich um:
1) Weideberechtigungen auf Äckern, Wiesen, Angern, Forsten usw.,
2) Forstberechtigungen zur Mast, zum Holz- und Streuholen,
3) Berechtigungen zum Plaggen-, Heide- und Bültenhieb,
4) zur Gräserei und zur Nutzung von Schilf, Binsen oder Rohr auf Gewässern,
5) zum Pflücken von Gras oder Unkraut aus den bestellten Feldern,
6) zum Nachrechen auf abgeernteten Feldern,
7) zur Nutzung fremder Äcker gegen Hergabe des Düngers,
8) zur Nutzung von Deputatbeeten,
9) zum Harzscharren,
10) zur Fischerei in stehenden oder Privatgewässern,
11) zur Torfnutzung.
Der Gemeinbesitz wurde anteilmäßig den Beteiligten als Eigentum gegeben, für das Recht zum Holzholen z. B. eine Parzelle Wald zugeteilt, usw. Insgesamt gab es eine gewaltige Umstellung, der Gutsbesitzer musste Ställe für die Pferdehaltung und Arbeiterhäuser bauen, der Bauer evtl. auf seinem neuen Ackerplan, den er aus der Aufteilung der Gemengelage erhielt, ein neues Gehöft errichten, einen sog. Abbau. Dazu kam für den Bauern der Übergang von der bisher überwiegenden Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft.
Es dauerte über 30 Jahre, bis um 1850 die Agrarreform zum Abschluss kam und Früchte trug. Manche Bauern hatten den Antrag auf Separation spät gestellt. Da sie einen tiefen Eingriff in das Gefüge der Landwirtschaft bedeutete und die spätere eigenverantwortliche Bewirtschaftung in neuzeitlicher Form erst ermöglichte, wurde sie hier zum Verständnis der Folgezeit in den Grundzügen beschrieben. Z. B. blieben die damals zugeteilten Betriebsflächen meist bestehen.
Natürlich brachte die Agrarreform auch Nachteile: Das Recht, ohne die früher notwendige Genehmigung des Gutsherrn zu heiraten, steigerte die Eheschließungen der bisher abhängigen Bauern um rd. 50% und den Geburtenüberschuss um rd. 100%, so dass Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten knapp wurden.
Durch die Landabgabe gingen 5,7% der landwirtschaftlichen Nutzfläche an die Gutsbetriebe und vergrößerten diese. Mancher Bauer, der in der Dorfgemeinschaft mitgezogen wurde, kam mit der eigenverantwortlichen Betriebsführung nicht zurecht, geriet in Schulden, musste seinen Hof verkaufen und wurde Landarbeiter.
Über die Bezüge der ostpreußischen Landarbeiter hat Frau Hedwig von Lölhöffel im Arbeitsheft „Landleben in Ostpreußen“ berichtet. Deshalb sei hier nur festgestellt: Die Werkwohnung mit Kuh-, Schweine-, Geflügelstall, Gemüsegarten, Frühkartoffelgarten, Kartoffelacker, Brennmateriallieferung, Getreidedeputat, Winterfutter und Sommerweide für die Kuh, Schafhaltung oder Wollgeld als wichtigste der kostenlos gewährten Naturalleistungen sicherten den Landarbeiter vor einem Inflationsrisiko und sorgten dafür, dass auch bei großen Familien mit acht bis zehn Kindern niemand zu hungern oder zu frieren brauchte. Das Bargeld war knapp, konnte aber von einer tüchtigen Hausfrau durch Verkauf von überschüssiger Milch, Butter, Eiern, Geflügel, ein bis zwei Schweinen vermehrt werden, ebenso auch durch meist halbtägige Mitarbeit in den Arbeitsspitzen der Betriebe an Ort und Stelle, ohne Verlust von Wegezeiten. Die Jahresarbeitsverträge mit halbjähriger Kündigungsfrist gaben die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Insgesamt stand sich der Landarbeiter bei gesünderem Leben nicht schlechter als der Industriearbeiter in der Stadt, sonst wäre er abgewandert. Das Gegenteil war der Fall, viele Familien arbeiteten in zweiter, dritter oder vierter Generation auf den Höfen oder Gütern. Die Leistungen der ostpreußischen Landwirtschaft wären ohne die fleißigen, treuen, tüchtigen Landarbeiter und Gutshandwerker nicht möglich gewesen. Die Erfolge in der Tierzucht hätten ohne die hingebende verständnisvolle Pflege der Pferdekutscher, Melker, Schäfer und Schweinewärter nicht erreicht werden können. Ihnen gebührt tiefer Dank und volle Anerkennung!
Dr. Hans Bloech, Ostpreußens Landwirtschaft,
Hrsg. Landsmannschaft Ostpr. Abt. Kultur, S. 17-19, Erscheinungsjahr unbek.